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Gedanken nach Hanau

Schon wieder müssen wir von einer schrecklichen Tat hören.

Ein zumindest verwirrter, nach den aktuell vorliegenden Informationen wohl auch extrem rechtsgesinnter, Mann hat offensichtlich 10 Mitmenschen und am Ende auch sich selber getötet. 

Ich denke traurig an die Hinterbliebenen, die nun mit einer furchtbaren neuen Wirklichkeit leben müssen. 

Und ich denke auch an alle, die irgendwann einmal in dieses Land gekommen sind (oder Nachfahren von Hinzugekommenen sind) und auch nach vielen Jahren des gemeinsamen Lebens feststellen müssen, dass sie für einige, die es anscheinend für eine eigene großartige Leistung halten, als „Einheimische“ von „Einheimischen“ hier geboren worden zu sein, immer noch nicht anerkannt sind.

Im Gegenteil, sie erfahren Misstrauen, Ablehnung oder Hass und Gewalt in Wort und Tat, im schlimmsten Fall sogar den Tod. 

Nach einer solchen Tat wird dann, wie auch in diesem Fall, von Politikern und anderen Menschen mit gesellschaftlicher Funktion Beileid bekundet, Abscheu ausgedrückt, und es werden Maßnahmen angekündigt. 

Das ist sicher gut, richtig und anständig, aber es reicht mir nicht. Und es macht leider oft auch einen hilflosen Eindruck auf mich.

Erst recht kann man mittlerweile nicht mehr sagen, dass eine solche Tat überrascht. Es ist nach ungefähr einem Jahrhundert wieder (oder immer noch?) möglich, dass in diesem Land Menschen als „anders“ ausgegrenzt, verleumdet und verfolgt werden. 

Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt?

Ich will nicht glauben, dass solche geschichtsverleugnende Menschenfeindlichkeit von der Mehrheit unserer Bevölkerung mitgetragen wird. Aber wir sollten wachsam bleiben.

Also:

Lasst uns endlich beginnen, nicht mehr Nationalitäten, Hautfarben, Glaubensrichtungen, oder auch sexuelle Identitäten, etc. als Begründung der Diskriminierung zu mißbrauchen.

Lasst uns endlich beginnen, andere und anderes nicht als fremd und bedrohlich zu sehen, sondern als neu, interessant, und bereichernd. 

Lasst uns endlich beginnen, eine Kultur der Offenheit und Freundlichkeit zu etablieren. Es sollte unsere Leitkultur werden, jeden so sein zu lassen, wie er ist, solange er nicht andere damit schädigt oder beeinträchtigt.

Und ja, lasst es uns auch uns selbst erlauben, Unterschiede zu sehen und zu benennen. Solange wir es nicht abwertend tun. 

Niemandem ist geholfen, vermeintlich politisch korrekt Verschiedenheit wegzubügeln. Unterschiede sind zum Glück da, machen das Leben bunt und interessant. Sie geben uns die Möglichkeit, unseren Horizont zu erweitern, zu lernen, uns zu entwickeln.

Wo ist die selbstverständliche und unbefangene Neugier (ja, genau die Gier auf Neues) der Kinder geblieben, die wir alle einmal waren? Ist es denn wirklich so schwer?

Lasst uns endlich beginnen, gegen Menschenfeindlichkeit aufzustehen, zu argumentieren, zu handeln, wo immer sie uns begegnet. Ja, ich meine Menschenfeindlichkeit, auch schon das Wort Fremdenfeindlichkeit empfinde ich als Ausgrenzung.

Lasst uns endlich beginnen, uns Menschen nennen zu dürfen!

Lasst uns endlich beginnen!